Montag, 16. November 2015

Vorarlberg 1809 – Wie kam es zum Aufstand gegen Bayern?


aVorbemerkung: Nach mehrfachem Vorschlag, der von einigen meiner Leser an mich herangetragen wurde, habe ich mich entschlossen einen neuen Menü-Punkt auf dem Bergfuchs-Blog zu installieren. Die „Geschichte Vorarlbergs“ soll von nun an ebenfalls ein Teil der hier behandelten Themen darstellen. Ich hoffe Euch auch auf diesem Gebiet wertvolle Informationen geben zu können und dabei den Unterhaltungswert nicht zu vernachlässigen. In diesem Sinne wünsche ich Euch allen viel Vergnügen bei der kommenden Lektüre.

 

1805 war ein Schicksalsjahr für Österreich. Nachdem bereits seit mehr als einem Jahrzehnt ein kriegerischer Konflikt mit Frankreich herrschte, der immer wieder durch einzelne Friedensschlüsse unterbrochen wurde, kam es in der zweiten Jahreshälfte 1805 zum erneuten Ausbruch der Kampfhandlungen. Der Verbündete England besiegte bei Trafalgar die vereinte französisch-spanische Flotte vernichtend – Österreich und seine Verbündeten, vor allem Russland, erging es dagegen weniger gut. General Mack wurde im Oktober bei Ulm verheerend geschlagen und am 2. Dezember folgte die schicksalshafte „Dreikaiserschlacht“ bei Austerlitz, aus der Napoleon als fulminanter Sieger hervorging. Es folgte der am 26. Dezember geschlossene Friede von Pressburg, in dem Österreich seine italienischen Gebiete und die westlichen Territorien verlor. Darunter befand sich auch das Land Vorarlberg (zusammen mit Tirol und einigen weiteren süddeutschen Gebieten), das an den Verbündeten Napoleons, Bayern, abgetreten werden musste.

 

Anfängliche Aufnahme bei der Bevölkerung

Das gerade erst am 1. Jänner 1806 zum Königreich proklamierte Bayern, erhielt auch sogleich im Jänner die Gebiete des heutigen Vorarlbergs (die offizielle Übergabe erfolgte am 13. März im Gasthof „Zum Goldenen Löwen“ in Bregenz) und verleibte diese seinem Staatsgebiet ein, das durch die vorteilhafte Bündnispolitik mit Napoleon beträchtlich angewachsen war. Neben Altbayern umfasste das Land nun viele „neubairische“ Gebiete, so dass der bayrische König Maximilian I. Joseph über ein Reich herrschen konnte, das vom Main bis zum Gardasee und vom Bodensee bis nach Passau reichte. Der Habsburger-Kaiser Franz I. hatte seinen Vorarlberger Untertanen für die jahrhundertelange Treue zu seiner Dynastie gedankt und sie aufgefordert nun brave Untertanen des bayrischen König zu sein.

Die Vorarlberger Bevölkerung trauerte Österreich und dem Kaiser nach, verhielt sich dem Bayernkönig gegenüber aber nicht ablehnend, sondern war vorsichtig gespannt auf das Neue, das nun kommen sollte. Hoffnung herrschte anfangs vor allem deshalb weil es Zusicherungen gab die alte ständische Verfassung und diverse Rechte, die die Bevölkerung unter dem Haus Habsburg genossen hatte, nicht anzutasten.

 

Was waren die Gründe für den Aufstand der Vorarlberger Bevölkerung?

Bayern war im Verhältnis zu den österreichischen Ländern sehr fortschrittlich gesinnt und verfügte bereits über einen reformierten und gut funktionierenden modernen Staatsapparat, ganz im Zeichen des aufgeklärten Absolutismus’. Vorarlberg verloren nun seine Eigenständigkeit und wurde Schwaben eingegliedert – in einer späteren Reform wurde es dem „Illerkreis“, mit der Hauptstadt Kempten, zugeschlagen. Damit gingen auch sämtliche alten Vorrechte verloren und es galt in Vorarlberg, wie überall sonst in Bayern, nur das bayrische Recht (bei Tirol machte man anfangs noch Ausnahmen). Damit war es aber noch nicht getan, denn Neuerungen aller Art überschwemmten die Bevölkerung immer mehr, so dass die meisten zunehmend das Gefühl hatten all ihre Traditionen würden durch das rasante Reformtempo zermalt werden. Die Reformen reichten von der Verwaltung, über das Sanitärwesen, die Einführung von Katastern bis zum Gefängniswesen. Kaum ein Lebensbereich blieb ausgeklammert und kaum eine Bevölkerungsgruppe war nicht davon betroffen. Aufklärerische Neuerungen waren schon in der Vergangenheit auf Widerstand in Vorarlberg gestoßen. So hatten bereits Reformen von Maria Theresia in Feldkirch 1768 Unruhen ausgelöst und die Ideen des „Aufklärerkaisers“ Joseph II. wurden größtenteils ebenso vehement abgelehnt. Doch was sich nun durch Bayern zutrug, stellte alles andere in den Schatten.

 

Ein weitere Punkt, der für Unruhe in der Bevölkerung sorgte, was das schlechte Händchen, das man bei der Besetzung von Amtsposten hatte. Die meisten Beamten kamen nicht aus Vorarlberg, sondern aus Altbayern. Man umging damit die einheimische Bevölkerung größtenteils, was jedoch nicht aus Bösartigkeit geschah, sondern vielmehr einem bürokratischen Apparat entsprach, der auf „Befindlichkeiten“ wenig Wert legte.

 

Vorarlberg war damals ein sehr von der katholischen Religion geprägtes Land, darüber hinaus war die Religion auch mit unglaublichem Aberglauben durchsetzt, dem die bayrischen Behörden mit ihrem auf Ratio basierendem Ethos, Einhalt gebieten wollten. Das führte, wie man sich leicht denken kann, schnell zu heftigen Spannungen. So wurden Prozessionen und viele Messe (sogar die Christmette) verboten, kirchliche Feiertage abgeschafft, Kirchen und Kapellen geschlossen, unliebsame Priester entfernt und dergleichen. Der Staat trachtete danach die Priester zu Staatsdienern zu machen, um so auch Kontrolle über das zu erlangen, was von den Kanzeln gepredigt wurde.

 

Wirtschaftlich war der Anschluss an Bayern eine Katastrophe. Bereits vor 1810 waren etwa ein Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung in der Textilindustrie beschäftigt. Dieser Industriezweig verlor nun seine traditionellen Absatzmärkte in Österreich und Italien. Durch die Kontinentalsperre Napoleons war zudem Rohbaumwolle fast unerschwinglich geworden. Es kam zu dramatischen Einbrüchen, die Löhne fielen auf einen Bruchteil und viele Unternehmen mussten ihren Bankrott erklären.

 

Die Steuerlast, die unter dem Haus Habsburg recht gering gewesen war, stieg enorm an, so dass es zu Zwangsversteigerungen vieler Bauernhäuser kaum. Aber auch sonst hatte die Bevölkerung unter dem enormen Kapitalbedarf Bayerns (nicht zuletzt durch die Kriegs- und Beistandspflicht gegenüber Napoleon) zu kämpfen.

 

Einer der Hauptgründe jedoch warum die Bayernherrschaft immer mehr verhasst wurde, waren die ständigen Rekrutierungen von Soldaten, die Bayern Napoleon stellen musste. Dabei traf es Vorarlberg besonders hart. Anfangs versuchte der bayrische König noch Freiwillige für den Kriegsdienst zu gewinnen, als deren Zahl jedoch zu gering bliebt, führte man die Wehrpflicht ein. Viele entzogen sich daraufhin durch Flucht (vor allem in die Schweiz) dem Militärdienst. Die Konskription war bei der Bevölkerung auch deshalb so unbeliebt, weil die jungen Männer dadurch als Arbeitskräfte ausfielen – vor allem aus ländlichen Gebieten gingen viele auf Fremdarbeit und brachte schönes Geld mit in die Heimat – etwas, das nun fast völlig ausblieb. Zudem mussten die Vorarlberger die Kosten für die Wehrdienstverweigerer bezahlen. 1807 kam es im Zuge von Rekrutierungen im Bregenzerwald zum Widerstand der Bevölkerung. Diesbezüglich ist der „Krumbacher Weiberaufstand“ ist weitum ein Begriff (nicht zu verwechseln mit dem „Weiberaufstand“ in Egg-Großdorf im 30jährigen Krieg gegen die Schweden!).

 

1809

Über die Jahre hinweg hatte sich ein Ungemach an das andere gereiht und hatte letztlich das Fass zum Überlaufen gebracht. Im Frühling 1809 brachen in Tirol Aufstände, vor allem unter der Leitung des Sandwirts Andreas Hofer, aus. Durch die erstaunlichen Erfolge der Tiroler Bauern gegen die Bayernbesatzung angestachelt, schlossen sich immer mehr Einheimische dem Freiheitskampf an. Nach der erfolgreichen Schlacht am Bergisel und der Widerinbesitznahme des Landes durch österreichische Truppen, schlug der Aufstand auch üben der Arlberg nach Vorarlberg über. Bekannte Landeshelden wie Anton Schneider, Bernhard Riedmiller oder Sigmund Nachbauer taten sich nun besonders hervor und errangen schöne Erfolge. Am Ende nützte es jedoch alles nichts und Vorarlberg blieb bei Bayern. Der Kaiser in Wien musste die Gebiete im Frieden schon Schönbrunn erneut abtreten. Erst nach dem Wiener Kongress (1814/15) kam Vorarlberg wieder zu Österreich und ist bis heute dabei geblieben.

 

Schlussfolgerung

Die Voraussetzungen für eine bayrische Herrschaft waren anfangs nicht schlecht gewesen. Die Bevölkerung verhielt sich abwartend und war gespannt auf das, was nun aus „München“ kommen würde. Durch ungeschickte Amtbesetzungen und vor allem durch ein fehlendes „Fingerspitzengefühl“ bei der Umsetzung von Reformen, verscherzten es sich die Bayern mit der lokalen Bevölkerung. Man kann daraus ersehen, dass man nie den Konservatismus der Bevölkerung (einer jeden Bevölkerung!) unterschätzen darf und dass Neuerungen in verträglichen „Dosen“ eingeführt werden müssen. Kommt man mit der „Dampfwalze“ daher und versucht mit bloßen Zwangsmitteln alles neu zu machen, darf man sich über den Widerstand, der einem entgegen schlägt, nicht wundern. Politisch opportuner ist es dagegen viel von Reformen zu sprechen, in der Praxis aber weitaus weniger, zumindest sofort, sondern erst allmählich durchzuführen. So stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein und der „Bruch“ mit dem Alten wird nicht mehr so schmerzhaft, zumindest nicht als unerträglich empfunden. Neues erzeugt fast zwangsläufig anfangs Ablehnung, das liegt einfach in der menschlichen Natur – dabei geht es nicht einmal darum, ob die Neuerungen eine Lebensverbesserung bringen oder nicht. An Neues muss man sich eben erst einmal gewöhnen und das ist meist unangenehm – das Alte kennt man, selbst dann wenn man darunter zu leiden hat und es wird deshalb oft vorgezogen. Leid, das man kennt, schreckt einen bekanntlich weniger, als neues, das man noch nicht einschätzen kann. Man darf niemals den „Volksgeist“ unberücksichtigt lassen, sollte immer ein gutes Verhältnis zu den Leuten auf der „Straße“ pflegen und es vermeiden Härte zu zeigen, wo diese unangemessen ist. Es hat noch keine Bevölkerung gut geheißen, wenn bürokratische Vorschriften, Ideologien und Weltanschauungen über das „menschliche“ Element gestellt wurden.

 

 

Alles Gute wünscht Euch der Bergfuchs.

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